Pastor Martin Niemöller
(1892-1984)
„Wo
liegt eigentlich der Punkt, an dem man widerstehen muss, wenn man
nicht die Freiheit hoffnungslos preisgeben will? [...]
Diese Frage lässt sich mit einem Wort beantworten. Dieses eine Wort
heißt Verantwortung im Sinne letzter persönlicher Verantwortung.
Wo die persönliche Verantwortung negiert und dahinten gelassen wird,
gibt es keine Freiheit mehr. [...] Verantwortung, das meint, dass ich
mit meinen Ohren und mit meiner Seele einen Ruf höre, der an mich ganz
persönlich ergeht, und dass ich ganz persönlich auf diesen Ruf
antworte. [...] Und wir wissen, was aus dieser Verantwortung bei uns
geworden, nein, gemacht worden ist.
Ich hab's ja in meiner Praxis erlebt,
was man so nennt anständige Leute unter den Wachmannschaften der SS im
KZ, Leute, die da ganz gern einmal hie und da von ihrem
Zigarettenüberschuss ihren Gefangenen abgaben,
und für die doch die Frage nicht mehr hörbar war, auf die sie
persönlich hätten antworten müssen, denen es nichts mehr machte, ob
sie den Gefangenen, dem sie morgens eine Zigarette gegeben hatten in
animalischer Gutmütigkeit, am selben Nachmittag am Galgen
aufknüpften.
Denn der Mensch war keine Frage mehr an sie. Die Fragen waren ja alle
gelöst.
Eine persönliche Antwort
brauchten sie nicht mehr zu geben.
Denn die Antwort war vorweg genommen durch eine andere freiwillig
übernommene Autorität, oder sagen wir es in aller Deutlichkeit:
in einer freiwillig übernommenen Knechtschaft,
und zwar in einer Knechtschaft, die keine Hoffnung auf Freiheit
irgendwo mehr ließ."
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